Die Vorfreude war groß: Endlich mal wieder ein Schachturnier!
Während man vielerorts – nicht nur bei uns – noch mit den Folgen der Corona-Pandemie zu kämpfen hat, richtete der Schachbezirk Halle in Sachsen-Anhalt am vergangenen Wochenende die Offene Bezirkseinzelmeisterschaft Halle aus, bei der gleichzeitig auch die neue Landesmeisterin der Frauen gekürt werden sollte.
Nun befindet sich Ludwigsfelde zwar nicht ganz genau in Sachsen-Anhalt, aber das hielten Thilo und mich nicht davon ab, diese Gelegenheit zum Schachspielen wahrzunehmen und endlich wieder Spielpraxis zu sammeln: Mit echten Figuren, gegen reale Gegner und ohne die zahlreichen Ärgernisse des Online-Schachs.
Obwohl es auch ein wenig ungewohnt war, keine Premoves machen zu können… 😉
Ungewohntes Spielstärkeniveau für Thilo
Für Thilo war es erst das dritte Turnier nach der DSAM Potsdam und seinem Sieg in Neubrandenburg im vergangenen Jahr. Diesmal sollte es jedoch kein Gruppensystem geben und das bedeutete, dass Thilo zum ersten Mal überhaupt in einem Schachwettkampf mit einem Spielstärkeniveau von 1600 und höher konfrontiert wurde.
Dass er inzwischen gut genug dafür ist, wussten wir – doch Theorie und Praxis sind nun mal etwas anderes. Die Nervosität war ihm deutlich anzumerken.
Gespielt wurde im beschleunigten Schweizer System. Zu meinem Glück scheine ich durch die Turniere in Magdeburg und Korbach vorletztes Jahr endlich aus dem „Verlierer-Viertel“ herausgerutscht zu sein – so wurde ich auf Startrang 4 gesetzt und konnte feststellen, dass man im obersten Viertel durch das beschleunigte System offenbar wieder Vorteile genießt.
Perfekte Organisation
Spielort und Turnierorganisation waren ungefähr so, als hätte man während der Lockdowns tagtäglich den Ablauf eingeübt: Es war einfach perfekt!
Es gab genügend Platz zwischen den Tischen, es gab genügend Toiletten, mehrere Waschbecken – selbst das Klopapier wurde nachgelegt! Zwischen den Runden gab es einen perfekt organisierten Imbiss mit Bockwurst, Brötchen und Kuchen – serviert von freundlichen, hilfsbereiten Damen. Man fühlte sich wie im siebten Schachhimmel.
Überhaupt hat man gemerkt, dass die Freude am Schachspiel bei allen Teilnehmenden sehr groß war und die Höflichkeit der Leute war bemerkenswert. Ich habe es beispielsweise noch nie erlebt gehabt, dass mich mein Gegner von ferne zurück ans Brett winkte, nachdem er seinen Zug gemacht hatte.

Runde 1
In meiner ersten Partie spielte ich gegen Yara Mathilda Stowicek, die später Landesmeisterin von Sachsen-Anhalt wurde. Es war eine gute Partie, allerdings von beiden Seiten. Das Mittelspiel war lange ausgeglichen mit höchstens minimalem, eher theoretischem Vorteil für Schwarz.
Etwas überraschend drehte sich das Blatt genau in dem Moment, in dem ich schließlich einen Bauern gewann: Ich unterschätzte die Aktivität, die meine Gegnerin dadurch entwickeln konnte, und musste mich plötzlich akkurat verteidigen. In Zeitnot übersah ich eine Springergabel und musste aufgeben. Respekt an meine Gegnerin: Das war eine richtig starke Partie gewesen.
Thilo spielte währenddessen gegen einen 1600er Jugendspieler aus Berlin. Er tauschte früh die Damen und erreichte so ein Endspiel, in dem er sich mit Weiß wohlfühlte. Nachdem es ins Bauernendspiel übergegangen war, hatte Thilo sogar den Gewinn auf dem Brett und diesen auch korrekt gesehen. Nur der fehlenden Erfahrung war es geschuldet, dass er den drohenden Bauerndurchbruch des Gegners nicht ernst genug nahm. So musste er am Ende leicht enttäuscht berichten, dass er gegen einen 1600er „nur remisiert“ hatte.
Nach dem Partiezug Kxc4 kann Schwarz sich ins Remis retten. Was muss Weiß ziehen, um tatsächlich zu gewinnen?
Runde 2
Thilos zweiter Gegner, wieder um die 1600, spielte die Bent-Larsen-Eröffnung. In der Anfangsphase zogen beide Seiten ein wenig ungenau, wonach Weiß zunächst leicht besser stand. Im Mittelspiel allerdings überspielte Thilo seinen Gegner: Seine Entscheidungen waren positionell gut und strategisch sinnvoll, die seines Gegners eher zweifelhaft. So gewann Thilo zunächst einen Bauern und dann die Partie, als sein Gegner einen Turm stehenließ.
Auch ich erzielte schnell positionelle Vorteile. Ich gewann bald einen ersten Bauern, dann einen zweiten. Danach wickelte ich ab in ein Endspiel mit zwei Mehrbauern und einem starken Springer gegen einen Läufer. Leider verfolgte ich hier einen komplett falschen Plan – oder zumindest einen, der mich nicht weiterbrachte. Das Endspiel war vom Anfang bis zum Ende gewinnbar, aber ich habe den Weg dahin nicht gesehen. So endete diese Partie letztendlich mit König vs. König in einem für mich unzureichenden Remis.

Runde 3
Dafür gestaltete sich meine dritte Partie relativ einfach. Den kritischen, aggressiven Angriff meiner Gegnerin konnte ich ohne nachzudenken kontern – das hat sie sichtlich verunsichert. Kurz darauf lief sie selber in eine Stellung hinein, bei der sich plötzlich alle meine Figuren im Angriff befanden. Darüber hinaus wusste ich, wie ich diesen Angriff zu spielen hatte: Pech für meine Gegnerin – Glück für mich.
Auch Thilo war in Opferlaune. Die Eröffnung wirkte insgesamt etwas konfus, aber Thilo konnte Aktivität entwickeln und spielte auf Angriff. Er entschied sich richtig für ein Figurenopfer – wählte allerdings das falsche Feld. So war das Opfer letztlich inkorrekt, doch seine Gegnerin nutzte ihre Chance nicht zu ihrem Vorteil. Infolgedessen aktivierte Thilo seine Türme, eroberte die feindliche Grundreihe, und als weiterer Materialgewinn unausweichlich war, kapitulierte seine Gegnerin.
So standen wir am Abend vor dem letzten Tag bei 1,5 Punkten und 2,5 Punkten aus jeweils 3 Partien. Vorsichtig hoffte Thilo bereits auf ein Spiel gegen einen der Hansch-Brüder aus Potsdam…
Runde 4
Ein Titelträger sollte es zunächst nicht werden, doch mit einem weiteren Sieg konnte Thilo nun sein selbstgesetztes Ziel aus eigener Kraft erreichen. Dafür jedoch musste er zunächst eine Spielerin mit TWZ 1722 ausschalten. Ob ihm das gelingen würde, war nicht klar.
Ich bekam währenddessen einen talentierten Jugendspieler vor die Nase gesetzt, der theorieaffin war. Also brachte ich ihn raus aus der Theorie. Das klappte zunächst auch ganz gut und wir waren mitten in der Partie, als nach gerade einmal 45 Minuten Spielzeit plötzlich Thilo in mein Sichtfeld trat, über beide Ohren grinste und siegreich seinen Daumen nach oben reckte.
„Ähm…“
Meine Gedanken in diesem Moment.
Aus der Eröffnung heraus hatte Thilo zwar einen Bauern verloren, dann aber wieder die richtige Entscheidung getroffen: Er spielte aggressiv, stellte Drohungen auf und stellte schließlich eine Falle, in die seine Gegnerin hineintappte: Figurgewinn war die Folge und Thilo erkämpfte sich sein Endspiel gegen einen Titelträger.
An dieser Stelle könnte man ganz unauffällig so tun, als wäre die Runde 4 erfolgreich vorbei gewesen, aber der Bericht soll ja vollständig sein.
Zurück am Brett nahm ich nun selber einen Bauern im Wissen, dass mein Gegner dafür Aktivität entwickeln würde. Ob das korrekt war, habe ich noch nicht überprüft – aber in jedem Fall habe ich meine Fähigkeiten, dem Angriff standzuhalten, überschätzt. Mein Gegner hatte schließlich einen Mattangriff auf dem Brett und hätte nur noch seinen Läufer opfern müssen, dann hätte ich sofort aufgegeben.
„Never resign!“
GM Ben Finegold
Aber er wollte es besonders schön machen. Er opferte statt des Läufers seine Dame – die einzige Hoffnung, die ich noch hatte. Denn in der nachfolgenden Kombination hing nun plötzlich sein Turm, der Mattangriff war keiner mehr, und als ich die Stellung mit unzählbarem Mehrmaterial konsolidierte, gab er auf.

Runde 5
In meiner letzten Partie gelangte ich unvorbereitet in eine Eröffnung, die ich schon seit Jahren nicht mehr spielen wollte. Das war nicht ganz optimal von mir…
Ich machte das Beste daraus, versuchte mich an alles zu erinnern und hatte Glück, dass mein Gegner keine Ahnung hatte. Allerdings spielte das bei dieser Eröffnung auch keine große Rolle – Weiß konnte ziehen, was immer er wollte.
Als sich der Rauch gelichtet hatte, einigten wir uns schließlich auf ein Remis. Später allerdings, während der Analyse, wurde klar, dass ich wohl hätte weiterspielen sollen. Es gab zwar keine zwingenden Drohungen, aber mit Schwarz hatte ich das leichtere Spiel. Weiß hätte mit Leichtigkeit in irgendetwas hineintappen können. Memo von Gegenwartsrafael an Zukunftsrafael: In Bamberg sind keine Remis erlaubt!
Thilo spielte unterdessen an Brett 1 sein Endspiel gegen FM Karsten Hansch vom SC Empor Potsdam um den möglichen Turniersieg. Ja: Turniersieg. Der FM mit TWZ über 2300 spielte in der letzten Runde gegen DWZ 1270. Das erlebt man auch nicht alle Tage!
Allerdings muss man leider sagen, dass Thilo bereits aus der Eröffnung heraus verlor und seine Stärken in dieser Partie somit nicht zeigen konnte.
Siegerehrung
Trotz der Niederlage am ersten Brett erreichte Thilo damit hinter der Familie Hansch und der Landesmeisterin Yara Mathilda Stowicek mit 3,5 Punkten aus 5 Partien den 5. Platz von insgesamt 38 Teilnehmern. Das Training und die vielen Mühen haben sich gelohnt!
Ich selbst landete mit 3,0 Punkten auf dem 13ten Platz.

Fazit
Es war wunderbar, endlich mal wieder Wettkampfpartien spielen zu können. Die Pandemie hat ihre Spuren hinterlassen und man hat auch deutlich gemerkt, dass die Wertungszahlen nicht mehr viel aussagen: Manche haben viel geübt, andere weniger.
Einer der schönsten Aspekte bei solchen Turnieren ist, dass man stets mit seinen Gegnern ins Gespräch kommt, neue Leute kennenlernt und Beziehungen knüpfen oder vertiefen kann. Ich hoffe, dass es auch in Zukunft weiter die Chance gibt, den Schachbetrieb fortsetzen zu können.
Gerne auch auf Dauer bleiben darf der großzügige Platz zwischen den Spieltischen sowie die perfekten Turnierbedingungen 🙂
Insgesamt war die Offene Bezirkseinzelmeisterschaft in Halle ein rundum empfehlenswertes Turnier, zu dem wir gerne wiederkommen. Vielen Dank den Organisatoren, ihr habt das wahrlich toll gemacht!
Ausblick
Bereits in einer Woche spielen wir schon wieder in Bamberg. Dort dann in unterschiedlichen Gruppen – vielleicht gewinnt ja einer von uns? 😀