Schachturniere waren lange Zeit rar gesät, doch vom 08.04.2022 bis 10.04.2022 fand in Dessau die 7. Offene Bezirkseinzelmeisterschaft des Schachbezirks Dessau in Sachsen-Anhalt statt. Klar, dass Thilo und ich die Gelegenheit zum Schachspielen nutzten.
Im vergangenen Jahr spielten wir bereits bei der BEM Halle mit sowie bei der BEM Magdeburg in Schönebeck. Damit war die „Sammlung“ nun komplett und wir haben alle drei Bezirkseinzelmeisterschaften des Landes Sachsen-Anhalt mitgespielt.
Bereits bei den vorangegangenen BEMs war uns die außerordentlich gute Orga aufgefallen. Auch die BEM Dessau war vor Ort gut organisiert. Zu bemängeln gab es lediglich, dass es online keinerlei Informationen gab, weder Paarungen noch die Tabelle, und Vegetarier hätten mit dem angebotenen Imbiss (nur Bockwurst) ein Problem gehabt.
Rückenwind und Gegenwind
Thilo konnte nach seinen Erfolgen in der aktuellen Saison und seiner 100%-Quote mit ordentlich Selbstvertrauen und guten Erwartungen ins Turnier gehen. Bei mir war es genau andersherum: Ich hatte meine letzten Ligapartien in den Sand gesetzt und nahm mir stattdessen vor, mich bei diesem Turnier wieder auf die Grundlagen zu konzentrieren.
- Auf die Grundlagen konzentrieren und den Gegner den ersten Fehler machen lassen.
- Den ersten Fehler hat der Gegner frei.
- Bei Nachteil argumentiere ich, dass meine Vorteile relevanter sind als die Vorteile des Gegners.
Runde 1: Thilo mit undankbarer Aufgabe
Beide waren wir in der oberen Hälfte gesetzt, aber relativ weit an deren Ende, sodass wir in der ersten Runde relativ leichte Gegner erwarteten. So trat ich in der ersten Runde gegen einen noch unerfahrenen Jugendlichen an, bekam einen leicht zu spielenden Standardangriff aufs Brett und hatte den Rest des Abends frei.
Thilo hingegen hatte das Pech, gegen einen Spieler ohne DWZ gelost zu werden – wer diese Situation kennt, weiß, wie undankbar so eine Aufgabe sein kann. Leider auch hier: Sein Gegner spielte bereits seit sechs oder sieben Jahren regelmäßig Schach, hatte aber noch nie an Turnieren oder gewerteten Wettkämpfen teilgenommen. Dementsprechend hatte Thilo ordentlich zu knabbern und das Mittelspiel wirkte günstiger für seinen Gegner. Doch mit taktischen Finessen hielt Thilo die Balance.
Schließlich entstand ein Turmendspiel, bei dem der Randbauer seines Gegners nicht aufzuhalten war – früher oder später hätte Thilo seinen Turm für den Bauern geben müssen. Leider fand er nicht den richtigen Plan, Gegenspiel am anderen Flügel zu kreieren und seine eigenen Bauern kraftvoll vorzuschieben – nur so hätte er das Remis erreichen können, weil auch sein Gegner dann gezwungen gewesen wäre, seinen Turm für den verbleibenden Freibauern zu tauschen.
Die letzte Chance für Schwarz: Er muss (muss!) …Txh3 versuchen, völlig unabhängig davon, ob es tatsächlich zum Remis reicht. Der Partiezug …Tb1? hingegen gibt jegliche Chance auf Gegenspiel auf und die abwartende Verteidigung ist zum Scheitern verurteilt.
Thilo war „bestens vorbereitet“ und hatte (u.a.) keinen Stift dabei, sodass ich ihm vor der Partie zwei Kugelschreiber geliehen habe. Weil sein Gegner nun zum ersten Mal ein Turnier spielte, wusste dieser nicht, dass man selber etwas zum Schreiben mitbringen musste – so wanderte einer der Kulis direkt zu Thilos Gegner. Im Laufe der ersten Runde gab nun auch noch der Kugelschreiber meines Gegners den Geist auf – sodass ich amüsiert einen weiteren Kugelschreiber verleihen musste.
Kugelschreiber sind rar gesät…
Runde 2: Gegen einen Großmeister in Inkognito
In der zweiten Runde spielte ich mit Schwarz und probierte etwas Neues. Diesmal war es mein Gegner, der keine DWZ hatte, aber ich war gewarnt und wusste aufgrund des Auslosungssystems ohnehin, dass ich einen schweren Gegner bekommen würde. Nichtdestotrotz: Mit dem, was dann passierte, hatte ich nicht gerechnet.
Man darf sich das so vorstellen: Ich erinnerte mich zwar an alle Theoriezüge, doch mein Gegner blitzte auch weiter alles heraus, spielt drei- oder vierzügige Kombinationen, ohne mehr als zwei Minuten dafür zu investieren – nicht um Material zu gewinnen, sondern um kleine, positionelle Vorteile zu erlangen. Selbst vermeintlich hängende Bauern schienen ihn nicht eine Sekunde aus der Ruhe zu bringen, sondern wurden ohne zu zögern als Opfer dargeboten. Eine Mattidee mit Springeropfer bereitete er so selbstverständlich vor, als hätte er sein Leben lang nie etwas anderes gemacht.
Dieses absurde Spiel ging so weit, dass ich mich ernsthaft fragte, ob ich gerade gegen einen Großmeister mit neuer Identität spielte – daraus ergab sich die einzig logische Schlussfolgerung, dass mein Gegner in Wahrheit ein Geheimagent war.
Gemäß Turnierplan argumentierte ich, dass die starken Springer des weißen Spielers nicht so stark waren, wie sie schienen. Um den Sd6 wollte ich herumspielen – dann stand der Springer quasi im Nichts und es bestanden darüber hinaus Chancen, dass er auf seinem Vorposten gefangen ist. Der Se4 machte mir mehr Sorgen, aber die Idee Sf6+ wurde durch meinen Sd5 pariert.
Hoffnung schöpfte ich, als er einen direkten Mattangriff probierte, der leicht zu verteidigen war. In obigem Diagramm folgte 21.Dh5, wonach sowohl 21…h6 als auch 21…f5 leicht parieren. Ich entschied mich für 21…h6, weil der offensichtliche Zug 22.g4? an 22…Sf4 scheitert – und so kam es auch.
Es folgte der Damentausch und fortan hatte ich zwei Mehrbauern, die bessere Struktur und keine Sorgen mehr. Etwas später passierte genau das, worauf ich gespielt hatte: Der weiße Springer war auf seinem Vorposten gefangen und würde nie wieder heraus kommen. Nie wieder. Nie.
Dass mein eigener Läufer schwach erscheint, ist kein Problem – langfristig wird er über f6, e5, f4 wieder ins Spiel zurückfinden. Jetzt aber erfüllt er erst einmal die Funktion, den weißen Springer vollends einzuschränken.
Etwas später holte ich den Springer ab und ließ meine Freibauern vorlaufen – danach gab mein Gegner auf und verschwand zügig aus dem Spielsaal. Schade: Denn mich hätte sehr interessiert, welche Gedanken er während der Partie gehabt hatte.
„Meine Stellung war total gewonnen!“
Mein Gegner nach der Partie, sichtlich verärgert über das Ergebnis. Interessanterweise wird die Engine später feststellen, dass Weiß zu keiner Zeit ausreichend im Vorteil war.
Von Thilos Partie hatte ich währenddessen leider nur wenig mitbekommen. Er hatte diesmal wirklich einen leichten Gegner zugelost bekommen und wenig Schwierigkeiten, den wichtigen ersten Punkt zu holen, um darauf aufbauend die Aufholjagd zu starten.
Runde 3: Thilo veropfert sich
„Mit 4 Punkten kann man immer noch gewinnen“
Thilo
Während diesmal meine eigene Partie relativ unspektakulär ablief und nach viel verbrauchter Bedenkzeit in einem für beide Seiten akzeptablen Remis in „völlig unklarer Stellung“ endete, lief Thilo in eine präparierte Variante hinein. Ambitioniert versuchte er ein Figurenopfer für zwei Bauern, doch sein Gegner erklärte ihm später, dass er sich genau dieses Opfer zuvor mit einem IM angeschaut hatte und wusste, dass es nicht funktionierte.
Das Opfer Sxg5?? ist voreilig. Schwarz bekommt zwei halboffene Linien gegen den weißen König und insbesondere h3 wird extrem schwach. Hingegen steht der schwarze König für den Moment sicher und kann in Kürze groß rochieren. Hier gäbe sogar Schwarz gern Material, um eine solche Stellung zu erhalten.
Zwar kämpfte Thilo wacker weiter und versuchte sein Glück, doch das Material und die aus dem Opfer resultierenden positionellen Vorteile des Gegners waren entscheidend.
So stand Thilo nach 3 Runden bei 1 Punkt aus 3 Partien und ich bei 2,5 aus 3, mit jeweils noch zwei Runden zu spielen.

Runde 4: Zielsicher in die Lücke
Bedingt durch das Auf und Ab des Auslosungsverfahrens („Schweizer System“), musste Thilo in der vierten Runde wieder gegen einen einfachen Gegner spielen. Sein Gegner zog sehr schnell und stellte frühzeitig eine Figur ein. Thilo hatte kein Problem damit, gegen ihn zu blitzen, und wurde auf diese Weise schneller fertig mit seiner „Pflichtaufgabe“.
Das gab ihm mehr Zeit, bei mir zu schauen, wie ich mich in eindeutig schlechterer Stellung mühte, überhaupt noch sinnvolle Züge zu finden…
Diesmal war ich nämlich selbst in eine präparierte Variante hineingelaufen und hatte Schwierigkeiten in gedrängter Stellung gegen starke Leichtfiguren meines Gegners. Doch es gelang mir, einen Bauern zu opfern und Gegenspiel zu kreieren. Ich gewann den Bauern mit Zinsen zurück und in beidseitiger Zeitnotphase schien das Blatt zunächst gewendet zu sein. Dann aber stellte ich den Mehrbauern wieder ein und die Stellung verblieb unklar.
Kurz vor dem 40ten Zug vermochte ich eine schöne Angriffsidee nicht mehr zu parieren. So hing unmittelbar nach der Zeitkontrolle eine Figur, wonach die Partie verloren war.
Impressionen aus dem Spielsaal Die Ruhe vor der fünften Runde
Runde 5: Thilo übersieht Matt
In der letzten Runde bekam Thilo noch einmal einen starken Gegner. Ganz rund lief es nicht bei ihm, die Eröffnung war ein wenig ungenau und seinem Gegner gelang der Qualitätsgewinn. Dann besann sich Thilo auf seine Stärken und schaffte es, mit einem starken Springermanöver den Entwicklungsnachteil seines Gegners auszunutzen und den weißen König in die Mitte zu treiben.
Die Stellung sah vielversprechend aus…
Was sollte Schwarz ziehen?
Doch leider griff Thilo fehl, investierte hier zu wenig Zeit, um mögliche Antworten seines Gegners durchzurechnen. So kam es dann, dass sich Weiß nach …Da4? mit h3! rettete, den König wieder hinter seine Bauern stellte und letztlich seinen materiellen Vorteil verwirklichen konnte.
Sehr schade – denn der Sieg war nah, die Mattidee war gut, es war nur zu schnell gezogen.
„Wenn man Matt droht oder braucht, hat man alle Zeit der Welt, die Zugfolge zu prüfen.“
Ein gut gemeinter Rat, doch zu spät gegeben.
Ein langer, langer Grind
Für mich hingegen war die letzte Runde auf angenehme Weise sehr befriedigend. Mein jugendlicher Gegner geriet in eine Variante, die ich mir vor vielen Jahren angeschaut hatte, aber noch nie aufs Brett bekam. Darin opfere ich früh einen Bauern und es ist überhaupt nicht ersichtlich, wie ich diesen jemals wiederkriegen werde. Jedoch weiß ich genau, wie ich diesen nach ca. 10 Zügen forciert zurückbekomme, logischerweise dann mit Vorteil.
Daraus ergab sich in der Partie eine Stellung mit einem stabilen Mehrbauern für mich und zwei schwachen Isolani für meinen Gegner. Dies auszunutzen, gestaltete sich allerdings als überraschend schwierig – die Figuren meines Gegners standen zunächst aktiver und es dauerte ein wenig, bis ich meine Figuren umsortiert hatte und überschüssige Figuren getauscht hatte. Doch auch der Kampf mit Dame und Springer war weiter kompliziert, wenn auch ungefährlich für mich, da meine Stellung keinerlei Schwächen hatte.
So konnte ich in Ruhe weiter „grinden“ und versuchen, meinen Gegner zu zermürben und Fehler machen zu lassen. Schließlich fand ich eine Möglichkeit, einen Bauern zu opfern und dafür beide Isolani abzugrasen – mit der Folge, dass ich danach drei verbundene Freibauern hatte und mein Gegner, schon eine Weile genervt über meinen Zeitverbrauch und seine nicht vorhandenen Chancen, schließlich aufgab.
Schön, dass eine vor so vielen Jahren mal gelernte Variante doch noch eines Tages aufs Brett kam!
Endstand
Etwas überraschend ging es nun ans große Rechnen. Die Partie an Brett 3 lief noch und alle drei Ergebnisse waren möglich, also wie genau gestaltete sich die Tabelle abhängig vom verbleibenden Partieergebnis? Die Platzierung würde von den Buchholzpunkten abhängen und damit die Frage, ob es für die Preisränge reichte oder nicht. Dann aber war klar: Egal, wie die verbleibende Partie ausging: Mit meinem Sieg in der letzten Runde war ich in jedem Fall auf Platz 5.
Dafür gab es eine Urkunde, einen Amazon-Gutschein, und… einen Kugelschreiber!
Resümee
Für mich persönlich war interessant, dass ich aus jeder einzelnen Partie etwas mitnehmen konnte. Ich nehme auch für die Berichterstattung auf der Homepage etwas mit und werde in den nächsten Wochen schauen, ob ich dazu eine interessante Idee möglicherweise umsetzen kann.
Für Thilo lief es leider nicht so gut. 2 Punkte aus 5 Partien sind etwas zu wenig, da hatte er sich mehr erhofft. Die gute Nachricht ist, dass wenigstens der dritte Punkt möglich gewesen wäre – da fehlte es vielleicht noch ein wenig an der Erfahrung.
Die BEM Dessau war in jedem Fall ein Turnier, das man auch zukünftig auf dem Schirm haben sollte, sofern es terminlich passt. Vielen Dank an dieser Stelle an die Organisatoren und die Helfer!
