Viel ist passiert in den letzten Wochen und die Zeit bis zum baldigen Saisonstart reicht kaum aus, um in angemessener Weise darüber zu berichten.
Los ging es mit dem 41. Löbauer Sommeropen vom 11.08.2022 bis zum 14.08.2022 in dem kleinen Dorf Lawalde bei Löbau in der Nähe von Dresden. Bereits im letzten Jahr war Rafael dort vor Ort gewesen und das Turnier hatte ihm so gut gefallen, dass er in diesem Jahr unbedingt erneut hinfahren wollte. Dieses Jahr kam Thilo mit – mit Erfolg, so viel sei bereits verraten!
Löbauer Sommeropen ist sportlich hochinteressant
Das Löbauer Sommeropen zeichnet sich durch eine ganze Reihe an Annehmlichkeiten aus.
Zunächst mal ist es ein eher kleines Turnier mit kleiner Teilnehmerzahl – in diesem Jahr waren es nur 18 Spielerinnen und Spieler -, aber dennoch mit 7 zu spielenden Runden. Dies garantiert ein aus sportlicher Sicht hochattraktives Turnier, bei dem man sich gegen so ziemlich jeden Mitkonkurrenten im direkten Vergleich durchsetzen muss, wenn man gewinnen möchte.
Der Sieger des Turniers ist also wirklich der beste Spieler des Turniers und nicht einfach nur derjenige, dessen Gegenspieler zufällig mehr Punkte geholt haben als die Gegenspieler des punktgleichen Mitkonkurrenten, gegen den man kein einziges Mal gespielt hat – wie es bei zu großen Schachturnieren häufig der Fall ist.
Sportlich ist Lawalde also hochinteressant, aber auch die Unterbringung im Kretscham Lawalde ein paar Gehminuten entfernt lässt wenig Wünsche übrig. Preislich ansprechend, eine nette Gastwirtin und gutes Essen: Was will man mehr? Lediglich Vegetarier werden hier wohl nicht glücklich werden…
Für die Skateboard fahrenden Schachspieler unter uns gibt es gleich neben dem Gasthof einen Skatepark, um sich zwischen den Schachpartien auszutoben. Ja: Nur dafür gibt es diesen Skatepark! Er hat keinen anderen Daseinszweck 😉

Zurückhaltende Zielsetzung
Gefragt nach den sportlichen Zielsetzungen, hatten Thilo und Rafael leicht unterschiedliche Vorstellungen.
Thilo wollte nach dem sportlich eher mäßigen Turnier in Rüdersdorf gerne wissen, wo er schachlich stand. Das war in Rüdersdorf aufgrund der hohen Teilnehmerzahl und den wenigen Runden nicht möglich gewesen. In Lawalde hingegen hatte er gute Chancen auf zahlreiche Partien gegen Spieler mit ähnlicher Spielstärke, sodass das Turnierergebnis aussagekräftiger sein würde.
Rafael wollte sich in erster Linie einspielen. Zwar schien ihm auch in Lawalde durchaus etwas möglich, aber den Fokus setzte er auf das Turnier am Wochenende danach:
„Lawalde ist mir eigentlich egal. Nur Greifswald will ich gewinnen.“
Rafael
Allerdings ist es natürlich verlockend, wenn man die zu erringenden Pokale stets im Blick hat:

Schwierige Auftaktpartie für Rafael
Doch nun zum Schachlichen!
Rafael spielte in der ersten Runde gegen ein 1500er Mädchen und tat sich etwas schwer mit der Partie. Er spielte eine seltene Variante, hatte aber selber genauso wenig Ahnung davon wie seine Gegnerin und geriet in eine etwas defensive Stellung, die an und für sich aber noch kein Problem darstellte. Doch unvermittelt schlug sie Rafaels Springer und der stellte fest, dass der Springer einfach hing. Die den Springer deckende Figur hatte er gerade erst weggezogen.
„Jo. Jetzt wird’s schwer…“
Rafael sieht ein, dass er eine Leichtfigur eingestellt hat.
Aber nicht umsonst hatte Rafael John Nunn’s fabelhaftes Buch „Die 7 Todsünden des Schachs“ gelesen und wusste um das richtige Mindset.
„Eine Leichtfigur weniger: Dann wird es halt nur Remis.“
Man muss eine Stellung eben richtig einzuschätzen wissen.
Also baute Rafael Druck auf und brachte eine Taktik aufs Brett, in die seine Gegnerin auch direkt hineinlief: Damit gewann er die Leichtfigur auf Kosten eines Bauerns zurück. Daraus resultierte nun ein Damenendspiel mit Leichtfiguren und nach einigem Hin und Her bot seine Gegnerin kurz nach dem 40ten Zug Remis, wahrscheinlich angesichts eines starken Freibauerns, der durchzulaufen drohte. Ganz so eindeutig fand Rafael die Sache aber nicht: Sie konnte den Bauern durchaus aufhalten, aber vielleicht sah sie nicht, wie. Danach hätte Rafael ein Endspiel mit einem Bauern weniger gehabt. Also nahm er das Remisangebot an.
Weiß am Zug. Was passiert nach dem offensichtlichen 42.c6?
Viele starke Gegner für Thilo
Bei Thilo lief es in der Auftaktpartie noch nicht so gut. Er musste in der ersten Runde gegen einen 2000er ran, der ihn „durch gutes Spiel aus der Eröffnung heraus an die Wand gespielt hat“. Das war etwas ärgerlich, aber Thilo machte die verlorene Partie am nächsten Tag sogleich wieder wett: Gegen einen deutlich erfahreneren Spieler gewann er schon früh eine Leichtfigur und überspielte seinen Gegner anschließend souverän.
Danach demonstrierte er, warum er in der Ludwigsfelder Mannschaft so weit oben gesetzt war: In der dritten Runde spielte er gegen den gleichen Gegner, gegen den Rafael in der zweiten Runde verloren hatte. Schnell stand er besser als sein Gegner, der immerhin eine DWZ von über 1800 aufweisen konnte, und es sah gut für Thilo aus – bis er eine Taktik übersah, nach der sein Gegner Materialvorteil erzielte. Doch im Endspiel verschätzte sich sein Gegner, als er das Material zurückgab und Thilo in eine gewonnene Stellung überleitete.
„After many adventures…“
Eine in Schachbüchern gebräuchliche typische Umschreibung von gegenseitigen Fehlern.
So gewann Thilo sowohl seine zweite als auch seine dritte Partie, „rächte“ Rafael und war mit 2 Punkten aus 3 Partien wieder gut dabei. Rafael hatte währenddessen erst 1,5 Punkte aus 3 Partien gesammelt.

Wenig Punkte an Tag 3
Der Samstag lief nicht so gut für die Spieler aus Ludwigsfelde. Rafael fühlte sich zu einem positionellen Qualitätsopfer inspiriert, hatte aber schon bevor er es spielte die Ahnung, dass es wahrscheinlich besser wäre, einen anderen Zug zu machen. Das Opfer sah attraktiv aus mit Dominanz auf den schwarzen Feldern und Königsangriff, aber sein Gegner hatte haufenweise Chancen auf Gegenspiel. So war das Remis durch Stellungswiederholung am Ende wahrscheinlich ein faires Ergebnis – und das wunderschöne Matt in 6, das zwischenzeitlich möglich gewesen wäre, wenn der Gegner einen unvorsichtigen Zug gemacht hätte, blieb eine nette Randnotiz.
Auch Thilo kam in der Vormittagsrunde nicht über ein Remis heraus – allerdings gegen einen Gegner mit einer DWZ von über 1900!
Da es ein wenig regnete, nutzten wir die Mittagspause zwischen den Partien zum Tischtennisspielen.

In der Nachmittagsrunde spielte Rafael dann gegen Thilos Gegner aus der Runde zuvor, während Thilo an Brett 1 gegen den FM spielen musste. Dabei sah Thilos Stellung auch lange sehr aussichtsreich aus. Doch dann hatte er die falsche Gewinnidee, ließ zu viel Gegenspiel zu und der FM ließ sich diese Chance nicht nehmen – schade, aber dennoch eine sehr gute Partie!
Rafaels Partie sah auch lange Zeit gut aus. Erst im Übergang zum Endspiel griff er in Zeitnot völlig fehl, übersah für einen Moment seine schwache Grundreihe und verspielte damit ein mühelos zu haltendes Turmendspiel.
Kurze und lange Partien am letzten Tag

Für Rafael begann die 6te Runde mit einem Beinahe-„WTF“-Moment. Sein Gegner eröffnete die Partie mit einem Gambling, einem „Glücksspiel“: Er spielte eine spekulative Eröffnung, die entweder einen großen Vorteil garantiert, wenn der Gegner den richtigen Zug nicht kennt (oder findet), die aber ausgesprochen schlecht ist für Weiß, wenn Schwarz ein bisschen Bescheid weiß. Dabei gibt es nur eine Handvoll Varianten, die Schwarz kennen sollte, um hier den Vorteil zu holen, sprich: Schwarz muss im Grunde lediglich Grundlagen kennen.
Aus diesem Grunde schüttelte Rafael im dritten Zug demonstrativ den Kopf und verdrehte die Augen.
Völlig zurecht: Bereits im 6ten Zug spielte Weiß eine Neuerung, im 9ten hatte Schwarz eine Leichtfigur mehr und in den verbleibenden 7 Zügen nutzte Rafael präzise die taktischen Möglichkeiten, die sich ihm boten. Nach dem 16ten Zug gab Weiß in hoffnungsloser Stellung auf.
Thilo hingegen hatte an diesem Vormittag eine schwierigere Partie auf dem Brett, die offensichtlich deutlich länger dauern würde als 16 Züge. Zwar schien auch sein Gegner keine Lust zu haben, zu gewinnen – er spielte 1.a3? -, aber anscheinend wollte er genausowenig verlieren. Also musste Thilo kneten und kämpfen. Keine Frage, dass er in so einer Partie gewinnen sollte, und lange stand er auch tatsächlich besser. Doch dann wickelte er das Endspiel falsch ab und plötzlich war die Stellung nur noch Remis.

Bleibt man bis zur Siegerehrung?
Die Frage, die sich fast allen Turnierteilnehmern regelmäßig stellt: Bleibt man bis zur Siegerehrung oder fährt man vorher nach Hause? Oft hat man ja noch einen weiten Weg und einige Stunden Autofahrt vor sich – nach zwei langen Partien am letzten Tag ist das durchaus herausfordernd. Manche Leute lösen das Problem durch schnelle Remis am letzten Tag, doch wenn Rafael fährt, gilt grundsätzlich: Auch die letzte Runde wird ausgekämpft.
Außerdem scheint grundsätzlich die Regel zu gelten, dass Rafaels Partien häufig mit die letzten Partien einer Runde sind. So ergab es sich, dass Thilo diesmal eine Kurzpartie zu bewältigen hatte, die er schnell und souverän gewinnen konnte, während Rafael es sich mal wieder unnötig schwer machte: Lange stand er schlechter.
Dann verlor er auch noch eine Qualität, wobei ihn diese weniger störte als den wichtigen Bauern, den er zugleich mit einstellte: Keine Frage, sein Gegner stand jetzt auf Gewinn. Der einzige vage Hoffnungsschimmer war der Angriff auf einen schwachen Bauern und eine taktische Idee.
Natürlich kann Weiß diese Stellung gewinnen. Aber was passiert nach 30…Lxf4 und dem naheliegenden, aber fehlerhaften Partiezug 31.Dxc6+?
Es folgten noch einige interessante Momente, bei denen Rafael auf Ideen aus einer im Jahr 2019 gespielten Partie zurückgreifen konnte. Durch einen Turmschwenk konnte er den weißen Läufer gewinnen, später die beiden Freibauern abtragen und schließlich mit einem seiner Bauern durchlaufen.
Durch diese lange Partie erledigte sich die Frage, ob man bis zur Siegerehrung blieb oder nicht: Es war (natürlich!) die letzte noch laufende Partie des Tages gewesen.
Thilo gewinnt den Jugendpreis
Außerdem hatte Thilo mit 4 Punkten aus 7 Partien den Jugendpreis U20 gewonnen und mit einer DWZ-Leistung von 1852 eindrucksvoll gezeigt, wo er denn nun schachlich stand!
Auch Rafael hatte 4 Punkte erzielt aus 7 Partien, aber gegen im Durchschnitt einfachere Gegner. Seine DWZ-Leistung in Lawalde betrug nur 1758.
Es bleibt zu sagen, dass das Löbauer Sommeropen wie auch schon im vergangenen Jahr einwandfrei durchgeführt wurde. Die Schiedsrichterleistung war tadellos, es schien immer jemand zur Stelle zu sein. Der zusätzliche Wettkampf im Problemschach war eine nette Abwechslung und die Tischtennisplatte im Nachbarhaus eine fabelhafte Idee. Wir kommen ganz bestimmt wieder!
