Was Turniere angeht, ist dieses Jahr ein bisschen merkwürdig. Ich bin es gewohnt, am Himmelfahrt-Wochenende sowie über Pfingsten Schach zu spielen. Doch dieses Jahr ist an Pfingsten tote Hose: Außer im äußersten Süden sowie in Travemünde findet an Pfingsten kein einziges Langzeit-Schachturnier in Deutschland statt.
Damit blieb für mich also nur Himmelfahrt, um Schach zu spielen. Ich entschied mich diesmal gegen das nahegelegene Potsdamer Sommeropen und bewusst für das Wilhelm-Werner-Gedächtnisturnier in Bad Salzdetfurth. In Niedersachsen spiele ich immer gerne und die Turniere der Grand-Prix-Serie des niedersächsischen Schachverbands sind einwandfrei – wie man hier in Brandenburg so schön sagt.
Schach in Bad Salzdetfurth
Bad Salzdetfurth ist ein eher kleiner Ort mit ausgesprochen steilen Straßen. Warum ich mich ausgerechnet zu solchen Turnieren dazu entschließe, vom Hotel aus mit dem Fahrrad hinzufahren, ist mir selbst ein Rätsel. Das Hotel jedenfalls war ein gutes Stück außerhalb, und so hieß es für mich jeden Tag: Berg rauf, Berg runter, Schach spielen, Berg rauf, Berg runter, schlafen gehen. Und irgendwann zwischendurch natürlich noch was essen.
Aber das Wetter war gut, die zweite Hälfte der Tour war immer einfach und so war ich morgens auf jeden Fall vollkommen wach, sobald ich am Schachbrett saß.
Nicht so gut geklappt hat der Punkt mit dem Essen: Die Frühstückszeiten des Hotels haben nicht gut mit der Startzeit des Turniers harmoniert, auch weil dann eben nochmal eine halbe Stunde Fahrt zum Spielort anstand. Bei meiner nächsten Teilnahme wähle ich sicherlich ein anderes Hotel.
Spiellokal und Verpflegung
Gespielt wurde in einer Schule hoch oben auf einem der vielen Berge. Versorgt wurden die Teilnehmer mit Snacks, Kuchen, Getränken und Bratwürsten zur Mittagszeit. Am Wochenende fand im Zentrum des Ortes zudem das „Garten- und Wellnessfest“ statt – eindeutig eine Verkaufsveranstaltung für die Bewohner des Altenheims nebenan, aber es gab dort sehr gute Burger.
Apropos Altenheim: Im Turniersaal war es komplett ruhig. So würde ich mir auch in der Liga bei unseren Auswärtsspielen immer wünschen. Man konnte jederzeit frische Luft schnappen, es zog kein Zigarettenrauch hinein und es gab ausreichend Toiletten. Organisatorisch also wirklich top!
Die Schiedsrichter waren immer anwesend und haben sich regelmäßig einen Überblick über die Partien gemacht. Auch das war absolut vorbildlich.
Zwei lange Partien am ersten Tag
Die erste Partie bestritt ich mit Schwarz und spielte gegen ein Gambit, zu dem ich meinen Vereinskollegen gerne erkläre, dass Schwarz dabei schlicht auf Gewinn steht. Trotzdem kann man damit eine DWZ von 1900 erreichen. Ich finde das schwierig zu verstehen.
Den Eröffnungsvorteil nahm ich jedenfalls eine ganze Weile mit, erlaubte aber später Gegenspiel zum möglichen Ausgleich. Den bekam mein Gegner jedoch nicht richtig zu fassen. In folgender Stellung in beiderseitiger Zeitnot machte sich dann mein Endspieltraining im Vorfeld des Turniers schließlich bezahlt:
Schwarz am Zug hat hier eine schöne Gewinnidee. Welche?
Dennoch zog sich die Partie letztlich über fast 5 Stunden hin, weil mein Gegner den „Resign“-Button nicht gefunden hat und selbst mit nacktem König gegen Läufer und 3 Bauern noch auf ein Remis hoffte. Gerade so konnte ich mir anschließend am Grill noch die letzte Bratwurst schnappen, bevor es dann auch schon zur nächsten Partie überging.
Großmeistervarianten kann ich nicht…
Mein zweiter Gegner spielte eine Großmeistervariante in einer Eröffnung, die mir sonst ganz gut liegt. Mit dieser Variante habe ich allerdings so meine Probleme, denn die kriege ich normalerweise nicht aufs Brett. In der Liga spielt niemand Theorie und Großmeistervarianten habe ich in Brandenburg generell noch nicht auf dem Brett gehabt. In dieser Hinsicht gibt es meiner Erfahrung nach tatsächlich einen Unterschied zwischen Ost und West.
Ich erinnerte mich daher zwar grob, aber leider nur grob – ich wusste den Anfang der Variante und das Ende, aber wie und warum man dahingelangt, war für mich ein Rätsel. Dennoch riskierte ich es. Das fehlende Wissen machte sich dann aber bemerkbar und mein Gegner erlangte im Mittelspiel entscheidenden Vorteil. Da er jedoch müde und ziemlich fertig wirkte, spielte ich trotz Minusbauern weiter – vielleicht bekam ich im Endspiel ja noch eine Chance. Die ergab sich letztlich jedoch nicht und am Ende des Tages musste ich die Partie verlorengeben.
…und großmeisterliche Eröffnungsfallen erst recht nicht
Am Freitag bekam ich mit Schwarz meine Hauptwaffe gegen e4 aufs Brett, in der ich mich sehr gut auskannte – aber was war das? Mein Gegner spielte eine Nebenvariante und irgendwie sah das plötzlich sehr gefährlich aus. Ich rechnete nun ganz genau, fand, dass alles zusammenhält und akzeptierte sein Opfer – und mein Gegner antwortete mit einem Zug, den ich gar nicht gesehen hatte. Leider war sofort ersichtlich, dass dieser Zug für mich problematisch war. Schwierig – aber wie konnte das passieren?
Zuhause, als ich mir die Partie nochmal ansah, verstand ich, wieso: Die gespielte Variante wurde vor ca. 2 Jahren von einem Großmeister auf Chessable empfohlen mit den Worten, dass Schwarz kaum eine Chance hat, die Stellung am Brett zu lösen. Und da die Variante neu war und noch dazu eine Nebenvariante… na ja. Aber selbst mit Stockfish hatte ich in der Analyse Probleme, weil Stockfish die Stellung lange Zeit falsch einschätzt.
Diese Erfahrung nehme ich also definitiv mit als ein Problem, das es für künftige Partien zu lösen gilt. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich in großmeisterliche Neuerungen mit Fallencharakter renne. Vielleicht sollte ich also selbst Kraut und Rüben spielen, um zumindest die 1900 zu halten?
Mit Kraut, Rüben und Bratwurst
Nach einer stressfreien Mittagspause bekam ich nun mit Weiß eines meiner überraschenderen Abspiele aufs Brett. Quasi die erwähnten Kraut und Rüben. Normalerweise bereiten sich meine Gegner darauf inzwischen leider vor, aber dieser Gegner von mir nicht. Auch als er von der Theorie abwich, wusste ich, was zu tun war, und gewann nach einem Fehler die Qualität. Kurz darauf folgte ein Bauer und netterweise gab Schwarz auf, ohne sich noch durch ein verlorenes Endspiel zu quälen.
Die Analyse mit ihm brachte erneut Interessantes zu Tage. Auch er nutzte Chessable (wer eigentlich nicht?) und er erinnerte sich auch richtig an die dort vorgeschlagene Variante gegen meine Eröffnung. Allerdings: Der Großmeister seines Repertoires hatte anscheinend Schwierigkeiten, etwas Vernünftiges dagegen vorzuschlagen. Also ließ er die weiße Hauptfortsetzung einfach weg, so dass mein Gegner, als er damit konfrontiert wurde, völlig raus war und nicht einmal die wichtigen Motive kannte. So geht es natürlich auch nicht – aber das ist ein typisches Problem mit Chessable-Kursen, in das ich auch schon oft gelaufen bin. Man will die Kurse halt verkaufen und möglichst einfache Lösungen präsentieren. Dass dabei wichtige Varianten weggelassen werden, weil sie eben nicht so einfach zu lösen sind, merkt man als Käufer immer erst im Nachhinein. Daher führt an einer eigenen Analyse letztlich kein Weg vorbei.
Nach nun einigen Partien mit Pech und einigen mit Glück stand ich immerhin bei 50% nach 2 Spieltagen. In der A-Gruppe ist das stets noch okay.
Den Gegner rausbringen, um ihn reinzubringen
In der fünften Runde wartete ein auf dem Papier schwächerer Gegner auf mich, aber ich musste mit Schwarz spielen und sah die Gefahr, dass die Partie in einer Theorievariante mit einem Remis endete. Das versuchte ich zu vermeiden und spielte daher eine andere Eröffnung, die noch nicht neben meinem Namen in der Datenbank steht, um meinen Gegner aus der Vorbereitung zu bringen.
Was ich jedoch nicht wusste: Mein Gegner hatte genau diese Eröffnung am Vortag auf dem Brett und sich nicht nur darauf vorbereitet, sondern die Partie hinterher auch schon analysiert. Er war also bestens vorbereitet und blitzte alle Theoriezüge perfekt herunter.
Als er auf Gewinn stand, bot er Remis. Fragwürdig von ihm – aber ich wäre schön blöd gewesen, die Punkteteilung nicht anzunehmen.
Was nehme ich daraus aber nun mit? Noch mehr Kraut und Rüben? Oder weniger Kraut und Rüben? In der Mittagspause gönnte ich mir jedenfalls einen Burger beim Wellnessfest und bestaunte dabei die völlig unnützen Produkte, mit denen den Rentnern das Geld aus der Tasche gezogen werden sollte. Da bekam ich ein bisschen Angst vor dem Altwerden.
Eine Qualität weniger ist auch noch remis?
Am Nachmittag spielte ich gegen einen der Gastgeber vom SC Bad Salzdetfurth. Ein netter Mensch und sehr entspannt. Generell waren die Gastgeber durchweg sehr nett. Weniger entspannt war dann aber die Stellung, die wir auf dem Brett kreierten. Mein Gegner überließ das Rechnen schlauerweise mir und brachte mich so in Zeitnot, weil ich keine klare Lösung fand für seine Neuerung. Das passiert mir bekanntlich häufiger.
Ich scheute die Konfrontation, geriet in Bedrängnis und verlor schließlich beim Übergang ins Endspiel eine Qualität. Die Stellung war glatt verloren.
Dass Weiß am Zug ist, ist vermutlich das einzig Positive in dieser Stellung aus Sicht des Weißen. Die Stellung ist klar verloren.
Mit wenig Zeit auf der Uhr und immerhin einigen offensichtlichen nächsten Zügen, tat ich das einzig Sinnvolle: Angreifen und hoffen. Eine Leichtfigur weniger ist ja bekanntlich immer noch Remis, aber wie verhält es sich mit einer Qualität?
Tatsächlich spielte mein Gegner nun schwer erklärliche Züge. Dadurch spielte sich mein Angriff quasi von selbst. Um ein wohl nicht zu haltendes Endspiel trotz Materialvorteil zu vermeiden, musste er die Qualität zurückgeben und in ein Turmendspiel mit jeweils 4 Bauern abwickeln. Ich bot Remis und mein Gegner nahm es an, denn nun war nichts mehr zu holen.
Schwarz hat mehr Material, aber dieses Quasi-Bauernendspiel würde Weiß gewinnen.
Ein überraschendes Remis
Vor der letzten Runde stand ich also weiterhin bei 50%: 3 Punkte aus 6 Spielen. Damit war klar, dass das Turnier für mich weder besonders gut noch besonders schlecht ausgehen würde. Das Ergebnis der letzten Runde war aus Sicht dieser Bewertung also egal.
Wir spielten eine Theorievariante, ich mit Schwarz, mein Gegner mit Weiß. Sehr interessant auf jeden Fall, aber meines Wissens nach gibt es für beide Seiten nichts Zwingendes. Ein paar Züge meines Gegners waren vielleicht ein bisschen zu passiv, was mir eine überraschende Abwicklung in die Punkteteilung erlaubte.
Weiß möchte f3-e4 spielen. Was sollte Schwarz also ganz sicher nicht spielen? Und was spielt Schwarz, um das Remis zu erzielen? Ich lasse das Rätsel zum Knobeln offen.
Fazit
Das Wilhelm-Werner-Gedächtnisturnier in Bad Salzdetfurth hat mir viel Spaß gemacht. Die Leute waren alle nett und das Turnier war eher klein, so dass man gut ins Gespräch kam und seine Gegner auch in späteren Runden nochmal wiedersah. Dass die Turniere der niedersächischen Grand-Prix-Serie stets in Gruppen stattfinden, verhindert das typische Pendeln in Schweizer Turnieren. In jeder Partie spielt man gegen einen etwa gleichstarken Spieler, so dass jede Partie spannend ist.
Zu Beginn habe ich mich gewundert, warum in Bad Salzdetfurth nicht viel Rad gefahren wird, aber im Nachhinein war es mir klar. Trotzdem war die tägliche Fahrt durchaus spaßig. Anstrengend, aber spaßig, und das Wetter hat zum Glück mitgespielt.
Rein vom Ergebnis her lief es für mich mit 3,5 Punkten aus 7 Partien eher durchschnittlich. Es war nicht großartig, aber okay. Manche Leuten sagen ja, dass Schach nichts mit Glück oder Pech zu tun hätte, aber einige Partien des Turniers würde ich durchaus als Pech abhaken. Nicht jeder 2000er, gegen den ich hätte spielen können, kommt mit gefährlichen Neuerungen im 11ten Zug einer Nebenvariante daher oder spielt atypische GM-Varianten. Ich werde daraus meine Schlüsse ziehen und vielleicht das ein oder andere künftig anders machen.